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Wie werden Kriege gemacht - wie werden Flüchtlinge gemacht?

Veranstaltung am 13. September 2015 im Club Voltaire, Frankfurt(M.) mit ex-CIA-Mitarbeiter Ray McGovern und ex-CIA-Mitarbeizterin Elizabeth Murray

Vortrag

Fragen

"Die Bundesregierung weigert sich weiterhin, die Realitäten des Afghanistan-Krieges zur Kenntnis zu nehmen"

Friedensratschlag: Bundesregierung lügt weiter für den Krieg
Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag

Die Bundesregierung hat ihre Marschrichtung vor der Londoner Konferenz festgelegt: Es wird sowohl die bereits vorher angekündigte Truppenerhöhung (von 4.500 auf 5.350) als auch eine Aufstockung der Mittel für den zivilen  Aufbau (von 250 auf 430 Mio. EUR) geben. Hinzu kommt die Erhöhung der Zahl der Polizeiausbilder (von 123 auf 200).

Hinter diesen Zahlen verbirgt sich jede Menge Sprengstoff:

1) Die Bundesregierung weigert sich weiterhin, die Realitäten des Afghanistan-Krieges zur Kenntnis zu nehmen.
Anstatt die Lage am Hindukusch entwicklungspolitisch zu verklären (es gab "manche Fortschritte"), hätte es einer schonungslosen Bilanz des über acht Jahr dauernden Krieges bedurft. Diese Bilanz liest sich anders als Merkels
Schönfärberei:
Keine signifikante Veränderung der Lage der Frauen,
kein Fortschritt bei der Alphabetisierung (im Gegenteil: 36,5 % der afghanischen Bevölkerung sind heute Analphabeten, 2001 waren es 34 %),
zügige Rückkehr der Taliban-Herrschaft in der Fläche (laut Londoner Forschungsinstitut ICOS werden 2009 80 % des Landes von Taliban kontrolliert, 2007 waren es erst 54 %),

Armut und Hunger haben laut UN-Berichten erschreckende Ausmaße angenommen (Unterernährte Bevölkerung von 30 auf 39 % gewachsen, Armutsbevölkerung von 33 auf 42 %),
Anstieg der Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen von 26 % auf 47 %.
Das einzige, was wirklich blüht in Afghanistan, sind die Mohnfelder und die Korruption. Bischöfin Margot Käßmann hatte Recht, als sie in ihrer Neujahrsansprache sagte: "Nichts ist gut in Afghanistan."

2) Die Kanzlerin begründet die Erhöhung des Bundeswehrkontingents mit der Notwendigkeit, den Schutz der Bevölkerung im Norden des Landes "gemeinsam mit afghanischen Kameraden" zu verstärken.
Dahinter verbirgt sich die Übernahme der US-amerikanischen und britischen Praxis, afghanische Soldaten zu Ausbildungszwecken in den Kampf zu schicken - unter Begleitung von NATO-"Ausbildern".
Ergebnis wird sein, dass der Krieg auch in den Nordprovinzen weiter eskaliert, die Bundeswehr häufiger in Gefechte verwickelt wird. Kein Wort darüber aus dem Mund der Kanzlerin!

3) Bundeskanzlerin Merkel verschweigt auch den Beschluss des NATO-Oberkommandierenden McChrystal, wonach 5.000 US-Soldaten zusammen mit 48 Hubschraubern zur Verstärkung in die Nordregion verlegt werden
und "unter das Kommando des von Deutschland gestellten Regionalkommandeurs in Mazar-i-Sharif gestelltwerden" sollen. Im Klartext heiß das nämlich, dass mit einer Ausweitung der Kampftätigkeiten in den ehemals"ruhigen" Gebieten zu rechnen ist. Das verstärkte Bundeswehrkontingent dient also nicht dem besseren Schutz der Zivilbevölkerung, sondern dem US-amerikanischen Modell der Aufstandsbekämpfung (counter-insurgency), das schon bisher ebenso verlustreich (v.a. für die Zivilbevölkerung) wie erfolglos geblieben ist.

4) Die Aufstockung der Polizeiausbilder (von 123 auf 200 Polizisten) wäre nur dann vernünftig, wenn sichergestellt wird, dass die ausgebildeten afganischen Polizisten ihren Dienst auch nach Recht und Gesetz
ausüben würden. Dies war bisher nur in Ausnahmefällen so. Ein Großteil der afghanischen Polizisten läuft auf die Seite der Taliban über oder lässt sich von lokalen Warlords für ihre Zwecke und zur persönlichen
Bereicherung einkaufen (z.B. für die "Straßenräuber-Abzockerei" an Checkpoints, wie der Bund Deutscher Kriminalbeamter in seiner jüngsten Stellungnahme formulierte). Davon abgesehen ließe sich die Ausbildung
afghanischer Polizisten viel konstengünstiger in der Bundesrepublik durchführen.

5) Frau Merkel hat nichts über die Kosten des Krieges gesagt. Während sich die Ausgaben in den zurückliegenden acht Jahren auf insgesamt gut vier Mrd. EUR belaufen (pro Jahr im Durchschnitt also 500 Mio.), kostet der Einsatz in diesem Jahr bereits 830 Mio, mit dem erweiterten Bundeswehrumfang wird die Milliardengrenze pro Jahr überschritten. Es besteht also nach wie vor ein eklatantes Missverhältnis zwischen den Mitteln, die für den direkten Krieg, und den Mitteln, die für den - vermeintlichen - zivilen Aufbau
ausgegeben werden.

6) Die Regierungserklärung ist insgesamt der hilflose Versuch, der Öffentlichkeit Fortschritte und Zukunftsverheißungen vorzugaukeln. Dazu gehört die "Abzugsperspektive", von der immer öfter geredet wird.
Die Aussagen dazu waren aber mehr als vage: in den nächsten Jahren wolle man "Verhältnisse" schaffen, die es den Afghanen "ermöglichen" sollen, für ihre Sicherheit selbst zu sorgen. Wie kann man darauf hoffen,
dass jetzt geschehen soll, was in mehr als acht Jahren Krieg nicht erreicht wurde!?
Mit jeder Truppenerhöhung bisher haben sich auch die Widerstandsaktionen erhöht, ist die Sicherheitslage im Land weiter destabilisiert worden. Nur wer an Wunder glaubt, wird erwarten, dass sich diese Spirale nun plötzlich umkehrt.

7) Trotz geheuchelter "Abzugsperspektive" und chronischer Schönfärberei lässt sich die Bevölkerung kein X für ein U vormachen: Nach neuesten Erhebungen sind knapp 80 Prozent der Bevölkerung in Deutschland
gegen die Erhöhung der Truppen; und vor zwei Wochen hatten sich in einer ARD-Umfrage 71 Prozent für einen schnellstmöglichen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ausgesprochen
. Die sanfmütig daher redende Dreieinigkeit von Merkel, Guttenberg und Westerwelle hat es längst aufgegeben, die Köpfe und Herzen der Afghanen zu gewinnen, sie versucht nur noch Ruhe an der Heimatfront herzustellen. Dazu müssen faustdicke
Lügen (über die wirkliche Lage) und durchsichtige Informationslücken (Kunduz!) herhalten. Wie lange können Regierung und Bundestag die Wählerinnen und Wähler ungestraft belügen und täuschen?

Fazit und Ausblick:

Der von der Bundesregierung mit Blick auf die Londoner Konferenz versprochene "Strategiewechsel" ist ein Rohrkrepierer. In Afghanistan wird weiter Krieg geführt und gestorben; in Zukunft sogar noch mehr. Von zivilem
Aufbau kann im Schatten des Krieges keine Rede sein. Statt einer "Afghanisierung" des Konflikts erleben wir eher eine "Amerikanisierung" der Kriegsführung - auch im "deutschen" Norden.

Dazu sagen die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung und die Friedensbewegung eindeutig NEIN. Die Änderung des Mandats für den Bundeswehreinsatz, die wohl Ende Februar im Bundestag beschlossen
werden soll, darf nicht durchkommen! Dazu wird die Friedensbewegung zusammen mit vielen anderen sozialen Bewegungen am 20. Februar in Berlin ihre Präsenz zeigen und fordern: "Kein Soldat mehr! - Truppen raus aus Afghanistan!"

http://www.afghanistandemo.de

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg/Berlin
Peter Strutynski, Kassel

Haiti- der weiße Fluch

Der weiße Fluch

von Eduardo Galeano*

Am ersten Tag diesen Jahres wurde die Freiheit 200 Jahre alt. Keiner hat es bemerkt, oder beinahe keiner. Einige Tage später bekam Haiti, das Geburtstagskind, ein wenig Platz in den Medien. Nicht aufgrund des Jahrestages der universellen Freiheit, sondern wegen eines Blutbads, das schließlich zum Sturz des Präsidenten Aristide führte.
Haiti war das erste Land, in dem die Sklaverei abgeschafft wurde. Allerdings schreiben die bekanntesten Enzyklopädien und die meisten Lehrtexte England diese historische Ehre zu. Es stimmt, dass das Weltreich, das zuvor Weltmeister im Sklavenhandel war, eines Tages die Meinung änderte; doch die Abschaffung durch die Briten geschah 1807, drei Jahre nach der Haitianischen Revolution, und sie war so wenig überzeugend, dass England 1832 die Sklaverei noch einmal verbieten musste.
Die Negierung Haitis ist nichts Neues. Seit zwei Jahrhunderten leidet die Insel unter Verachtung und Bestrafung. Thomas Jefferson, Freiheitskämpfer und Sklavenhalter, warnte, aus Haiti komme ein schlechtes Beispiel, und er sagte, man müsse „die Pest auf diese Insel beschränken“. Sein Land hat auf ihn gehört. Die USA brauchten 60 Jahre, um die freieste aller Nationen diplomatisch anzuerkennen. Unterdessen nannte man in Brasilien Unordnung und Gewalt „Haitianismus“. Die Eigentümer der schwarzen Arme wurden dort bis 1888 vom  „Haitianismus“ verschont. Erst in jenem Jahr schaffte Brasilien die Sklaverei ab. Es war das letzte Land auf der Welt.
Haiti ist wieder ein unsichtbares Land geworden, bis zum nächsten Blutbad. Während es zu Beginn dieses Jahres auf den Bildschirmen und auf den Seiten der Zeitungen war, berichteten die Medien nur von Durcheinander und Gewalt und bestätigten, dass die Haitianer geboren seien, um das Schlechte gut und das Gute schlecht zu tun.
Seit der Revolution konnte uns Haiti nur Tragödien bieten. Es war eine wohlhabende, glückliche Kolonie, und jetzt ist es die ärmste Nation der westlichen Hemisphäre. Revolutionen, so schlossen einige Spezialisten daraus, führen in den Abgrund. Einige sagten, und wieder andere deuteten an, dass die haitianische Neigung zum Brudermord ein Erbe des wilden Afrika sei. Ein Gebot der Vorfahren. Der schwarze Fluch, der zu Verbrechen und Chaos treibt. Vom weißen Fluch sprach niemand.
Die Französische Revolution hatte die Sklaverei abgeschafft, doch Napoleon führte sie wieder ein:
„Was war die günstigste Regierungsform für die Kolonien?“
„Die vorherige.“
„Also, stellen wir sie wieder her.“
Und um die Sklaverei wieder in Haiti einzupflanzen, schickte er über 50 Schiffe voller Soldaten.
Die aufständischen Schwarzen besiegten Frankreich und erkämpften die nationale Unabhängigkeit sowie die Befreiung der Sklaven. 1804 erbten sie ein Land, das durch die zerstörerischen Zuckerrohrplantagen ausgelaugt und von einem wilden Krieg verwüstet war.
Und sie erbten die „französischen Schulden“. Frankreich ließ sich die Demütigung Napoleon Bonapartes teuer bezahlen. Kaum geboren, musste sich Haiti zur Zahlung riesiger Entschädigungssummen verpflichten - für die Schäden, die es bei seiner Befreiung angerichtet hatte. Die Sühne für die Sünde der Freiheit kostete es 150 Millionen Gold-Francs. Das neue Land kam bereits erdrosselt zur Welt, mit einem Strick um den Hals: einer Schuld, die heute 21,7 Milliarden Dollar wert wäre oder 44 Jahreshaushalte des heutigen Haiti.
Es brauchte weit mehr als ein Jahrhundert, um die Schulden zurückzuzahlen, die durch Wucherzinsen vervielfacht wurden. 1938 wurde endlich die Erlösung gefeiert. Aber da gehörte Haiti bereits den US-Banken.
Als Gegenleistung zu diesem Aderlass erkannte Frankreich die neue Nation offiziell an. Kein anderes Land tat das. Haiti war geboren und zur Einsamkeit verdammt.
Auch Simón Bolívar erkannte es nicht an, obwohl er ihm alles verdankte. Schiffe, Waffen und Soldaten hatte ihm Haiti 1816 gegeben, als Bolívar besiegt auf der Insel ankam und um Schutz und Hilfe bat. Alles gab ihm Haiti, unter der einzigen Bedingung, die Sklaven zu befreien, eine Idee, die ihm damals noch nicht gekommen war. Anschließend triumphierte der Freiheitskämpfer in seinem Unabhängigkeitskrieg und drückte seine Dankbarkeit aus, indem er ein Schwert als Geschenk nach Port-au-Prince schickte. Von Anerkennung kein Wort.
In den spanischen Kolonien, die mittlerweile unabhängige Länder geworden waren, gab es weiterhin Sklaven, auch wenn einige zusätzlich Gesetze hatten, die das verboten. Bolívar verabschiedete seines 1821, doch die Realität nahm es nicht zur Kenntnis. Dreißig Jahre später, 1851, schuf Kolumbien die Sklaverei ab, Venezuela 1854.
1915 landeten die Marines in Haiti. Sie blieben 19 Jahre lang.  Zu allererst besetzten sie die Zoll- und die Steuerbüros. Die Besatzungsarmee hielt das Gehalt des haitianischen Präsidenten so lange zurück, bis der einwilligte, die Liquidierung der Nationalbank zu unterschreiben, die sich in eine Filiale der Citibank von New York verwandelte. Der Präsident und alle anderen Schwarzen durften die Hotels, Restaurants und exklusiven Klubs, die der fremden Macht vorbehalten waren, nicht betreten. Die Besetzer wagten es nicht, die Sklaverei wieder einzuführen, aber sie setzten die Zwangsarbeit im öffentlichen Bauwesen durch. Und sie töteten viel. Es war nicht leicht, das Feuer des Widerstands zu löschen. Der Anführer der Guerilleros, Charlemagne Péralte, wurde auf eine Tür genagelt und zur Abschreckung in aller Öffentlichkeit vorgezeigt.
Die zivilisatorische Mission war 1934 abgeschlossen. Die Besetzer zogen ab und hinterließen an ihrer Stelle eine von ihnen fabrizierte Nationalgarde, um jeden möglichen Funken von Demokratie auszulöschen. Dasselbe taten sie in Nicaragua und in der Dominikanischen Republik. Einige Zeit später wurde Duvalier zum Pendant von Somoza und Trujillo.
Von Diktatur zu Diktatur, von Versprechen zu Verrat, gingen die Missgeschicke und die Jahre vorüber.
Aristide, der rebellische Priester, wurde 1991 Präsident. Er hielt sich nur wenige Monate. Die Regierung der USA half mit, ihn zu stürzen, sie nahm ihn mit, unterzog ihn einer Spezialbehandlung und setzte ihn danach wieder als Präsidenten ein, unter dem Schutz der Marines. Und erneut half sie bei seinem Sturz mit, jetzt, im Jahr 2004, und erneut kam es zu Mord und Totschlag. Und wieder kamen die Marines zurück, sie kommen immer wieder, wie die Grippe.
Doch die internationalen Experten sind viel verheerender als die Invasionstruppen. Als Land, das der Weltbank und dem Internationalem Währungsfonds unterworden ist, hatte Haiti ihre Instruktionen befolgt. Sie vergalten es dem Land, indem sie ihm Brot und Salz verweigerten. Sie froren die Kredite ein, obwohl der Staat aufgelöst und die Zollbarrieren und Subventionen, welche die nationale Produktion schützten, bereits aufgehoben waren. Die Reisbauern, die in der Mehrheit waren, verwandelten sich in Bettler oder Bootsflüchtlinge. Viele landen in den Tiefen der Karibik, doch diese Schiffsbrüchigen sind keine Kubaner und tauchen nur selten in den Medien auf.
Jetzt importiert Haiti seinen ganzen Reis aus den USA, wo die internationalen Experten, die ziemlich zerstreute Leute sind, vergessen haben, Zollbarrieren und Subventionen zum Schutz der nationalen Produktion zu verbieten.
An der Grenze, wo die Dominikanische Republik aufhört und Haiti anfängt, steht ein großes Schild mit einer Warnung: Der böse Übergang.
Auf der anderen Seite ist die schwarze Hölle. Blut und Hunger, Misere, Seuchen.

In dieser so gefürchteten Hölle sind alle Bildhauer. Die Haitianer haben die Gewohnheit, auf Müllhalden Konservendosen und Alteisen einzusammeln. Mit althergebrachter Meisterschaft schneiden und hämmern sie und schaffen wunderbare Dinge, die auf den Volksmärkten feilgeboten werden.

Haiti ist ein Land, das auf die Müllhalde geworfen wurde, als ewige Strafe für seine Würde. Da liegt es, als wäre es Schrott. Es wartet auf die Hände seiner Menschen.


*Eduardo Hughes Galeano (* 3. September 1940 in Montevideo, Uruguay) ist ein Journalist, Essayist und Schriftsteller. Mit zwanzig Jahren wurde er stellvertretender Chefredakteur der MARCHA, einer Zeitschrift für Kultur und Politik in Montevideo. Später war er leitend bei mehreren linksgerichteten Zeitschriften tätig; 1976 ging er ins spanische Exil, wo er bis zum Ende von Uruguays Militärdiktatur 1985 verblieb. 1971 erschien die erste Fassung seines wichtigsten Werkes Las venas abiertas de América Latina (dt. Die offenen Adern Lateinamerikas), welches sich mit der Geschichte Lateinamerikas, insbesondere den Kolonialherrschaften alter und neuerer Prägung auseinandersetzt.

 

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